Zwei Bärte für ein Halleluja

Konzertkritik: Matt Andersen und Mark Kelly
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Handyfoto: © Natascha Kiefer

Es war der erste gruselig nasse und graukühle Herbsttag nach einer langen Phase voller wärmendem Sonnenschein und obendrein auch noch ein Montag. Man erwartete also zum Konzert am Abend im Bogen F von Matt Andersen und Mark Kelly nicht allzu viele Zuschauer und die Vorfreude auf einen intimen und gemütlichen Abend war gross.

 

frisch von der Leber weg

 

Begrüsst wurde der eher locker mit Menschen gefüllte Konzertraum kurz nach 9 Uhr dann von einer ziemlich eindrücklichen Gestalt. Von dieser konnte man im Vorfeld lesen, dass sie ein Engländer mit jamaikanischen Wurzeln sei, der momentan in Vevey (CH) lebt. Viel mehr wusste man noch nicht über Mark Kelly, den energiegeladenen und laut und erfrischend ungehemmt lachenden Tausendsassa mit der übergrossen Wollmütze auf dem Kopf. Die verschrammelte und notdürftig zusamengeklebte Gitarre fest im Arm, zeigte der Sänger und Musiker eine Show, die wohl niemand der Anwesenden so schnell wieder vergessen wird. Selten wird man nämlich von einem Support derart hingerissen, wie von diesem sympathischen und aufgeweckten Entertainer, der frisch von der Leber weg aus dem Nähkästchen plauderte und das Publikum an seinem Leben und an den Geschichten seiner Songs teilhaben liess. Trotz bester komödiantischer Unterhaltung und viel Interaktion mit dem Publikum schaffte Mark Kelly es dennoch, den Spagat zwischen Komik und hochstehenden, vielseitigen und vor allem berührenden Songs zu halten und nicht in Klamauk zu verfallen.

 

I Am Who I Am

 

Doch wie kann man die Musik von diesem Ausnahmetalent beschreiben? Mark Kelly, das ist salopp umschrieben eine ziemlich verrückte Mischung aus Ben Harper, Glen Hansard und Jack Johnson mit einer kleinen Prise Passenger. Im Gegensatz zu seinen weltberühmten Kollegen bewegt sich Kelly aber fernab vom Mainstream, und das obwohl er bereits am Paléo Festival Nyon aufgetreten ist und dieses Jahr an den Swiss Music Awards mit dem Preis als «Best Act Romandie» ausgezeichnet wurde. Zwar schlägt er auf seinem neusten Album «I Am Who I Am» eine hörbar professionellere Schiene ein und beteuerte später im Gespräch auch, dass er seine Karriere gerade mehr organisieren wolle. Er bleibt sich und seiner rohen, bodenständigen und ehrlichen Musik aber konsequent treu. Ganz nach dem Motto des Albums («I Am Who I Am»), denn schliesslich geht es darin vor allem um die Akzeptanz seiner Selbst und wer man wirklich ist.

 

Es wurde gelacht, gesungen, geklatscht und aufmerksam gelauscht und viel zu schnell ging die Zeit mit ihm als Support vorüber und er musste die Bühne schweren Herzens dem Haupt-Act überlassen. Wahrscheinlich hätte er das Publikum noch die ganze Nacht bestens unterhalten können. Da Kelly jedoch in der Schweiz lebt, wird man sicher bald wieder die Gelegenheit haben, ihn live zu erleben.

 

Strotzend vor Charisma und Gelassenheit

 

Nach einer kurzen Umbaupause trat Matt Andersen auf die Bühne, eine nicht minder beeindruckende Persönlichkeit. Alleine an der Gitarre legte er sogleich los mit seinem Set, das vor allem Songs von seinem neusten Album „Honest Man“ zeigte, und zog von der ersten Sekunde an das ganze Publikum mühelos in seinen Bann. Man war schlichtweg machtlos und konnte gegen diese Anziehungskraft, die von Andersen ausging, rein gar nichts unternehmen. Strotzend vor Charisma und Gelassenheit bewegte er seine Finger mal virtuos und rasend schnell, mal spielerisch zupfend, mal leidenschaftlich langsam über die Gitarrensaiten und liess sein Instrument abwechslungsweise wimmern, aufstöhnen, ächzen, singen, zirpen, stampfen und dröhnen. Seine variantenreichen und durchs Band bluesigen bis hin zu countryesken Nummern wurden malerisch verziert durch dahinpeitschende und atemberaubende Gitarrensoli und einem zutiefst gefühlsintensiven Spiel, das man in dieser Art äusserst selten live zu sehen bekommt. Und all das war gerade einmal die Spitze des gewaltigen Eisbergs, vor dem man sich als Zuschauer befand.

 

Man findet nämlich kein irdisches Wort, um die Stimme von Andersen zu beschreiben. Sein gewaltiges Stimmorgan scheint nicht von dieser Welt zu sein. Viel mehr als ein simples Organ ist es ein eigenständiger Klangkörper mit einem widerspenstigen und wilden Charakter, ein Wesen, das nur dazu erschaffen wurde, in die tiefsten Ecken und Höhlen jeder einzelnen Seele vorzudringen, um sich da einzunisten, den Raum zur Gänze einzunehmen und mit Wärme auszufüllen. Und dabei weiss dieses Wesen ganz genau, was es tut und welche Knöpfe es drücken muss, um die Herzen des Gegenübers sofort und vorbehaltlos sperrangelweit zu öffnen. Und dieses ganze Feuerwerk an Emotionen und Talent schleuderte der Kanadier mit einer so stoischen, ruhigen Selbstverständlichkeit gen Publikum, als wäre es alltäglich und banal, dabei war es doch genau das pure Gegenteil.

 

in vielerlei Hinsicht etwas ganz Besonderes

  

Andersen verkörperte den Blues mit Leib und Seele und schien auf der Bühne regelrecht mit seinem Instrument zu verschmelzen. Zwischen den Songs zeigte sich der Hüne aufgestellt und dezent gesprächig und war sichtlich gerührt, dass doch einige Zuschauer da waren, schliesslich spielte er das allererste Mal überhaupt in der Schweiz.

 

Dieser Konzertabend im Bogen F war in vielerlei Hinsicht etwas ganz Besonderes. Nicht nur durfte man zwei absolute Ausnahmetalente in diesem intimen und malerischen Rahmen kennen lernen, man wurde auch Zeuge eines magischen und verzaubernden musikalischen Ereignisses, das in Qualität und  Intensität kaum noch zu übertreffen ist. Danke!

 

Natascha Evers / Di, 24. Okt 2017